Wie lässt sich die moderne Errungenschaft der Digitalisierung in den Lebensalltag älterer Menschen integrieren? Mit dieser Frage beschäftigte sich die LINGA-Online-Konferenz „Leben im Alter unter Pandemie-Bedingungen: Digitalisierung als Chance“ in Kooperation mit der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. (LVG). Konkret ging es um die Themen Teilhabe, ländliche Räume und Pflegeheime. Neben zahlreichen Speaker/-innen aus Niedersachsen gehörten auch Prof. Dr. Andreas Kruse, Kommissionsvorsitzender des Achten Altersberichts, sowie Dr. Regina Görner von der BAGSO zu den Gästen der bundesweit ausgerichteten Konferenz.

Wie so viele andere Events in diesem Jahr war auch die LINGA-Konferenz von vornherein als Online-Veranstaltung geplant und wie sich zeigte, passte sie genau in die heutige Zeit. Das große Interesse an diesem Thema belegte die hohe Zahl von fast 250 Teilnehmer/-innen, die sich pünktlich zu Beginn der Konferenz am 19.11.2020 eingeloggt hatten. Delia Balzer von der LINGA und Martin Schumacher von der LVG stimmten in ihrer Begrüßung die Gäste auf das Programm ein. „Wir haben viele spannende Dinge vorbereitet, Sie haben die Wahl.“

Ältere nicht als Passive begreifen

Zahlreiche Moderator/-innen und Speaker/-innen sorgten für ein spannendes Programm und eine gelungene Online-Konferenz, wie hier bei der virtuellen Abschlussdiskussion.

Zu Beginn gab Prof. Dr. Andreas Kruse von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg einen Einblick in die Erkenntnisse und Empfehlungen des Achten Altersberichts der Bundesregierung. Kruse ist Vorsitzender der Kommission dieses Berichts und machte deutlich, dass ältere Menschen in Fragen der Digitalisierung nicht als Passive begriffen werden dürften. „Ältere müssen ausdrücklich an der Identifikation und Entwicklung digitaler Technologien beteiligt werden“, sagte er. „Alter und Technologie schließen sich nicht aus!“

Kruse betonte, dass vor allem Corona gezeigt habe, dass digitale Technologie eine große Chance für Ältere darstelle, besonders in Bezug auf Interaktion, Teilhabe, Vernetzung und Serviceleistungen. Auch im Alter sei der Mensch noch dazu fähig, Neues zu erlernen, so auch den Umgang mit digitalen Geräten. Wer die Erfahrung mache, im Alter noch lernfähig zu sein, verspüre zudem Selbstbewusstsein und mehr Kontrolle. Das Bedürfnis nach Identität in der eigenen bekannten Lebenswelt sei zentral. Seine Empfehlung: Die digitale Daseinsvorsorge muss Teil der kommunalen Daseinsvorsorge werden.

„Der 7. Sinn“ mit Digitalthemen

Dr. Regina Görner, stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), erläuterte anschließend in ihrem Vortrag, dass es eine digitale Spaltung nicht unbedingt zwischen Jung und Alt, sondern vielmehr innerhalb der Alten gebe. Die einen hätten im Alter beispielsweise genug Budget für einen Zugang zu digitalen Möglichkeiten, andere nicht. Eine unabdingbare Forderung: die digitale Grundversorgung in Pflegeheimen!

Außerdem sprach sie sich für einheitliche Standards bei der Bedienung von Geräten und Programmen aus, sodass das Erlernte nach dem nächsten Systemupdate nicht wieder von Grund auf erneuert werden müsse. Um wirklich alle älteren Menschen zu erreichen, brachte sie die Idee eines informativen TV-Formats ins Spiel, ähnlich der Sendereihe „Der 7. Sinn“ zur Verkehrssicherheit (1966-2005), allerdings mit Themen wie Umgang mit Tablet und Smartphone sowie Online-Banking.

In der anschließenden Diskussion ging Görner auf die Frage nach der generellen Finanzierung der digitalen Bedarfe von Älteren ein. Ihrer Meinung nach seien genug Fördermittel auf Bundes- und Landesebene vorhanden, sie müssten nur in die richtige Richtung gelenkt werden. Kruse ergänzte, dass das Problem nicht mangelndes Geld sei, sondern eher die falsche Vorstellung vom Leben im Alter seitens der Politik. Daher seien solche Veranstaltungsformate wie die der LINGA so wichtig.

Nach der Pause folgte das Hauptprogramm der Konferenz. Drei themenbezogene Panels starteten gleichzeitig, die Teilnehmer/-innen hatten die Wahl zwischen jeweils drei spannenden Vorträgen.

Vertrauen der Älteren in Digitalisierung wächst

Das erste Panel trug den Titel „Digitale Teilhabe erlebbar machen“. Zu Beginn präsentierte Anna-Lena Hosenfeld von der Initiative „Digital für alle“ ein Umfrageergebnis zum Thema „Gab es den Corona-Digital-Schub?“. Resultat: Der große Schub sei ausgeblieben, allerdings sei das Vertrauen der Älteren in die Digitalisierung gestiegen. Anschließend referierte Mario Bierschwale von der Stadt Stadthagen über das Living Care Lab Schaumburg, in dem Innovationen für den Pflegebereich erlebbar gemacht werden. Carolin Thiem von der VDI/VDE Innovation und Technik GmbH gab einen Überblick über die geförderten Projekte des Bundesforschungsministeriums im Wettbewerb „Gesellschaft der Ideen“ für Soziale Innovationen.

Im zweiten Panel ging es um „Digitalisierung in ländlichen Räumen“. Thorsten Wilhelm von der CoWorkLand eG stellte unter anderem den Coworking-Space Cobaas aus Preetz vor, in dem sich Menschen gemischten Alters treffen und gegenseitig voneinander profitieren. So entstand in den offenen Büroräumen mittlerweile ein Hospizcafé und eine Ärzterunde. Gemeindebrandmeister Heiko Böhlken erläuterte anschließend die Initiative „bremke.digital“, bei der der kleine Ort Bremke in Südniedersachsen mit viel ehrenamtlichem Engagement beispielsweise mit Dorffunk, digitaler Nachbarschaftshilfe und einem interaktiven Schwarzen Brett aufgewertet worden sei. Christian Fitte von der Universität Osnabrück gab einen Einblick in die Möglichkeiten der Apotheke 2.0 als zentrale Plattform für beispielsweise die elektronische Gesundheitsakte, bessere Versorgung von Palliativpatient/-innen und exakte Medikamentenportionierung durch Blistering.

Panel drei trug den Titel „Digitalisierung in Lebenswelten älterer Menschen“ und richtete den Fokus auf die Pflegeheime. Diethelm Heinen, Geschäftsführer der RegioOnline GmbH aus Hannover, widmete sich der Frage, wie Menschen in Pflegeheimen an die digitalen Möglichkeiten herangeführt werden können. Ralph Keller, Mitbegründer des hannoveraner Startups MitEmma, referierte über selbstbestimmtes Einkaufen, das unabhängig vom Alter der Kund/-innen auch im Pflegeheim möglich sein müsse. Über den Erfolg von Videosprechstunden in Pflegeheimen und die dafür notwendige kostenfreie Bereitstellung von Tablets und Unterstützungsdiensten informierten Emily Andrea von Vitagroup sowie Julia Ulbrich von der AOK Niedersachsen.

Durch mehr Erfahrungen mehr Interesse wecken

Nach dieser intensiven Stunde voller spannender Panels kamen alle Konferenzgäste wieder in einem virtuellen Raum zusammen, um Jutta Croll zuzuhören. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Digitale Chancen nahm den Achten Altersbericht zum Anlass, um dessen Empfehlungen weiterzudenken. Sie gab einen Rückblick auf die Arbeit des Media-Busses, mit dem die Stiftung schon vor fast 20 Jahren versucht habe, ältere Menschen für digitale Themen zu begeistern. Später sei man dazu übergegangen, Smartphones und Tablets zu verleihen und gleichzeitig Unterstützung in der Bedienung anzubieten.

In Zukunft müssten sich digitale Themen mehr an der Zielgruppe der Älteren orientieren. Der Zugang müsse erleichtert werden. Viele hätten kein Interesse, weil sie bislang noch keine Erfahrung mit digitaler Technik gemacht hätten. Somit fehlte auch die Motivation. Assistenzmöglichkeiten für Geschäfts- und Behördenvorgänge müssten im Digitalen genauso ermöglicht werden wie im Realen, forderte Croll.

Zum Abschluss kamen alle Referent/-innen und Moderator/-innen virtuell auf der Bühne zusammen und resümierten das Gehörte. Aus dem Chat trudelten zahlreiche Fragen ein, die von den Fachleuten kompetent beantwortet wurden. Nach fast vier Stunden Programm voller informativer Vorträge und zahlreicher Erfolgsbeispiele auf dem Gebiet der Digitalisierung für Ältere ging dieser intensive Nachmittag zu Ende.